- Frankreich: Von der Résistance zur Vierten Republik
- Frankreich: Von der Résistance zur Vierten RepublikÄhnlich verlief der Übergang vom Krieg zur Nachkriegsordnung in Frankreich. Hier begann die Befreiung zwar erst mit der Landung der alliierten Truppen in der Normandie am 6. Juni 1944. Zuvor war aber schon durch die Kooperation zwischen dem Komitee des »Freien Frankreich« General Charles de Gaulles in London und den zum Teil bewaffneten Widerstandsgruppen im besetzten Frankreich eine Gegenmacht zu dem Regime Marschall Philippe Pétains entstanden, der das Land unter der Oberhoheit der deutschen Besatzungsmacht verwaltete. Im Juni 1943 war in Algier das Französische Komitee der Nationalen Befreiung (CFLN) gebildet worden, seit Oktober 1943 wurde es von einer provisorischen beratenden Versammlung von Vertretern der Résistance und ehemaligen Parlamentsabgeordneten unterstützt.Als die Alliierten mit der Befreiung des Landes begannen, kämpften französische Truppen mit einer halben Million Soldaten, meist in den Überseegebieten rekrutiert, an ihrer Seite mit. Gleichzeitig griffen bewaffnete Partisanengruppen (Maquis) die deutschen Besatzer überall im Lande an. Aber erst Anfang August 1944 ging die Befreiung des Landes zügig voran. Am 25. August wurde Paris durch eine französische Panzerdivision befreit. Vom Vogesenkamm an ostwärts und in einigen Hafenbefestigungen der Atlantik- und Kanalküste konnten sich die Deutschen noch bis Februar 1945 halten.Die provisorische Regierung der französischen RepublikWährend die Résistants, zusammen weniger als 200000 aktive Kämpfer, in den von ihnen befreiten Gebieten Befreiungskomitees einsetzten, die Verwaltung übernahmen und mit Zivilgarden die öffentliche Ordnung kontrollierten, präsentierte sich de Gaulle in den von den Armeen befreiten Städten des Nordens und wechselte dann die Verwaltungen aus. Da die Bevölkerung diesen Machtwechsel offensichtlich akzeptierte, gaben die amerikanischen Befreier ihre ursprüngliche Absicht auf, auch Frankreich durch eine alliierte Militärregierung verwalten zu lassen. Am 25. August 1944 übertrug das alliierte Oberkommando die Verantwortung für die Zivilverwaltung offiziell auf das CFLN, das sich jetzt als provisorische Regierung bezeichnete. Im Gegenzug wurden die Streitkräfte der Résistance dem alliierten Oberbefehl unterstellt. Am 23. September erkannten die Alliierten die erweiterte provisorische Regierung unter Ministerpräsident de Gaulle diplomatisch an.Als die lokalen und regionalen Befreiungskomitees sich weigerten, ihre Waffen abzuliefern, erwiesen sich auch in Frankreich die Kommunisten, die in der Résistance stark vertreten waren, als zuverlässige Stützen einer nationalen Kompromisspolitik. Nachdem Parteisekretär Maurice Thorez Ende November aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt war, wurde die Résistance im weiteren Verlauf des Winters 1944/45 vollständig entwaffnet. Die Parteien rückten wieder ins Zentrum des Machtgefüges.Die Verfassunggebende VersammlungAllerdings verschob sich nun der Schwerpunkt des politischen Spektrums deutlich nach links. In den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung am 21. Oktober 1945 stiegen die Kommunisten (PCF) mit 26,2 Prozent zur stärksten Partei auf. Kurz hinter ihnen, mit jeweils über 23 Prozent, rangierten die Sozialisten (SFIO) und die Volksrepublikaner (MRP), eine neue Partei mit linkskatho- lisch-christdemokratischem Programm. Eine Nachfolgepartei von Résistancegruppen, die sozialdemokratisch-republikanische Union (UDSR), verbündete sich mit den traditionellen Radikalen, kam aber gleichwohl über einen Achtungserfolg nicht hinaus. Da die Sozialisten als knapp drittstärkste Partei weder zu Juniorpartnern der Kommunisten noch zu ausschließlichen Verbündeten der Volksrepublikaner werden wollten, verständigten sich die drei Hauptsieger notgedrungen auf die Bildung einer breiten Regierungskoalition, die über eine Dreiviertelmehrheit im Parlament verfügte. Ministerpräsident blieb zunächst de Gaulle. Als ihm die Parteien ihre Unterstützung bei der Stärkung der Exekutive in der neuen Verfassung versagten, trat er jedoch am 20. Januar 1946 zurück. Die Regierung übernahm nun der Sozialist Félix Gouin.Im Zuge der Befreiungskämpfe oder kurz danach wurden etwa 10000 Kollaborateure hingerichtet, oft nach fragwürdigen Verfahren vor improvisierten Résistance- und Kriegsgerichten. Viele französische Faschisten kamen auch an der Seite der Deutschen kämpfend ums Leben. Nachdem die Bevollmächtigten der provisorischen Regierung die Organisation der Verfahren übernommen hatten, fielen die Urteile alsbald milder aus. Ähnlich nachsichtig war die Säuberungspraxis im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft. De Gaulle pflegte bewusst die Illusion, die überwiegende Mehrheit des Volkes hätte sich im Widerstand engagiert. Lediglich prominente Politiker der Kollaboration wurden demonstrativ abgeurteilt. Pierre Laval, der letzte Ministerpräsident des Kollaborationsregimes, wurde hingerichtet; der greise Staatschef Pétain selbst wurde nach dem Todesurteil zu lebenslanger Haft begnadigt.Die Vierte RepublikIm Übrigen führte die provisorische Regierung eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Reformen durch. Etliche Banken, Versorgungsunternehmen, Schifffahrts- und Fluggesellschaften wurden verstaatlicht; Sozialleistungen wurden ausgebaut, vor allem durch die Schaffung eines einheitlichen Sozialversicherungssystems.Der Konsens der Dreiparteienkoalition reichte allerdings nicht aus, um eine stabile Verfassungsordnung zu schaffen. Unter dem Druck de Gaulles rückten die Volksrepublikaner nach rechts, während die Kommunisten ihren Anhang gleichzeitig weiter vergrößerten. Ein erster Verfassungsentwurf, der eine starke Stellung des Parlaments vorsah, scheiterte am 5. Mai 1946 am Widerstand der Volksrepublikaner und einer Mehrheit der Wähler. Die Verfassung der Vierten Republik, die am 27. Oktober 1946 in Kraft trat, stellte einen Kompromiss dar, der keine Seite zufrieden stellte. Der Ministerpräsident konnte danach auch durch negative Mehrheiten im Parlament gestürzt werden. Häufige Regierungswechsel waren bald die Regel.Die Kommunisten schieden Anfang Mai 1947 aus der Regierung aus, drei Wochen vor ihren italienischen Genossen. Ursache für den Bruch war aber nicht der Druck traditioneller Kräfte, sondern der Sparkurs der Regierung, der infolge der Ausplünderung der Wirtschaft durch die deutsche Besatzung unausweichlich war. Die Unzufriedenheit der Arbeiter mit diesem Kurs wuchs so stark an, dass sich die kommunistische Parteiführung schließlich nicht mehr anders zu helfen wusste, als gegen die Sparmaßnahmen der von ihr mitgetragenen Regierung zu stimmen. Der sozialistische Ministerpräsident Paul Ramadier erklärte daraufhin die Regierungsfunktionen der kommunistischen Minister für erledigt. Hingegen entschieden sich die Sozialisten nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen dafür, in der Regierungsverantwortung zu bleiben.Die Beziehungen innerhalb der verbliebenen Koalition aus Sozialisten, Volksrepublikanern und einigen kleineren Parteien blieben freilich gespannt. Die Sozialisten mussten befürchten, Anhänger an die Kommunisten zu verlieren, während die Volksrepublikaner weiter unter dem Druck de Gaulles standen. Dessen Sammlungsbewegung, im April 1947 gegründet, erzielte bei den Kommunalwahlen im Oktober 1947 einen spektakulären Erfolg. Als Ramadier infolge der Koalitionsspannungen im November 1947 zurücktrat, mussten die Sozialisten das Amt des Regierungschefs an die Volksrepublikaner abgeben. Neuer Ministerpräsident wurde Robert Schuman.Endgültig wurde der Bruch mit den Kommunisten auch in Frankreich erst aufgrund der Radikalisierung des kommunistischen Kurses infolge des Kalten Kriegs. Nach den Streikbewegungen des Winters 1947/48 entschied sich eine Mehrheit der Franzosen im Frühjahr 1948 für die Mitarbeit im westlichen Bündnis. Dies schloss notgedrungen die Zustimmung zur Bildung eines westdeutschen Staats ein. Gleichzeitig begann die französische Regierung, für die Schaffung europäischer Institutionen zu werben, die Sicherheit vor einer neuen deutschen Bedrohung gewähren sollten.Prof. Dr. Wilfried LothGrundlegende Informationen finden Sie unter:Frankreich: Verunsicherte GroßmachtSrant, Paul: Die politischen Säuberungen in Westeuropa am Ende des Zweiten Weltkrieges. Aus dem Französischen. Oldenburg u. a. 1966.
Universal-Lexikon. 2012.